Kunst & Wissenschaft
16. Juni 2013
Brigitte Grawe

Die Wissenschaft ist der Verstand der Welt, die Kunst ihre Seele.

Maksim Gorkij

Kunst und Wissenschaft; auf den ersten Blick scheint beides – abgesehen von kunsthistorischen, bzw. kunstwissenschaftlichen Aspekten – für die meisten Menschen nicht viel miteinander zu tun zu haben. Doch das ist ein Irrtum. Schon frühe kunsthistorische Dokumente belegen das Gegenteil. Dabei denke ich nicht einmal an die profane Tatsache, dass sich Naturforscher gerne der handwerklichen Fähigkeiten eines Künstlers bedienten, um ihre Forschungsergebnisse illustrieren zu lassen…

Dass Kunst in ihren Anfängen nichts anderes war, als dekoratives

Handwerk, macht ihre historische Entwicklung umso spannender.

Das Faszinierendste an kunstgeschichtlicher Betrachtung ist für mich, darin eine beeindruckende Form der Dokumentation dieser Welt und ihrer Geschichte zu entdecken. Nichts Anderes spiegelt so sehr und ehrlich die menschliche Entwicklung wieder – und das in jeder in Hinsicht. Nichts zeigt uns Fauna & Flora auf so schöne Art und Weise.

Auch von historischen Ereignissen können wir uns Dank vieler erhaltener sog. Alter Meister ‘ein Bild machen’. Ob Höhlenmalerei, Kriegsszenarien, Naturkatastrophen, Portraits oder Krönungen; eindrucksvoll geben sie Zeugnis der Geschichte unserer Welt. Auch die Wissenschaft und deren Entwicklung spiegelt sich in den Arbeiten vieler Künstler wieder.

Das wohl bekannteste Beispiel für die Symbiose zwischen

Kunst und Wissenschaft ist Leonardo da Vinci (1452-1519).

Der geniale Maler und Bildhauer schuf nicht nur unvergleichliche Kunstwerke. Er war auch Architekt, Mechaniker und Ingenieur, Anatom und Naturphilosoph. Er betrieb wie kein Anderer hochintelligente, visionäre Wissenschaft, die Erfindungen hervorbrachte, mit denen er seiner Zeit um bis zu 5 Jahrhunderte voraus war.

Er selber sah darin die logische Fortsetzung seiner Kunst, die er stets mit der Wissenschaft verbunden sah. Er malte um zu verstehen, und forschte um zu malen; eine untrennbare Symbiose.

Des Weiteren ist natürlich auch Michelangelo

(1475-1564) zu nennen.

Der außergewöhnliche italienische Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter fällt ebenso wie Albrecht Dürer in die Kategorie der sog. Wissenskünstler. Dürer beeindruckte als Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker seine Zeitgenossen. Oder denken wir an Leon Battista Alberti (1404-1472); der Dra­ma­ti­ker, Mu­si­ker, Maler, Ma­the­ma­ti­ker, Na­tur­wis­sen­schaft­ler und Kunst­theo­re­ti­ker nahm mit seinen ar­chi­tek­tur­theo­re­ti­schen Schrif­ten nach­hal­ti­gen Ein­fluss auf die ita­lie­ni­sche und ge­samt­eu­ro­päi­sche Bau­kunst­.

Viele Künstler der Renaissance eigneten sich wissenschaftliche Kenntnisse an.

So konnten sie ihre Werke als intellektuelle Leistung definieren und sich damit von der handwerklichen Einordnung zu distanzieren.

Auch die Farbherstellung, bzw. Erfindung der Ölfarben erforderte einiges an Wissen, und so kann man durchaus manche Künstler dieser Zeit als Alchemisten bezeichnen. Peter Paul Rubens und seine entsprechenden Schriften sind da nur ein Beispiel. Auch die Optik war ein Thema, für das sich Künstler schon früh interessierten.

So kursierten die Werke des arabischen Mathematikers und Naturforschers Alhazen (Abu Ali al-Hasan Ibn al-Haitham) unter den Künstlern des Abendlandes. Sie lieferten wertvolle Kenntnisse über Licht und Farben. Dieses Wissen ermöglichte ihnen, die perfekte Illusion eines dreidimensionalen Raumes zu erschaffen.

Viele Künstler galten als Experten in Sachen Naturwissenschaften.

Aus dem gemeinsamen Bestreben zu erkennen, ‘was die Welt zusammenhält’, gingen Kunst und Wissenschaften eine enge Bindung ein. Sie alle stellten das Re­nais­sancei­deal des »homo uni­ver­sa­lis«, des um­fas­send ge­bil­de­ten Men­schen dar.

Aus der Epoche der Klassik & Romantik sind besonders die Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der auf naturwissenschaftlicher Ebene forschte und publizierte sowie Johann Gottfried von Herder (1744-1803) zu nennen. Letzterer studierte Medizin, Theologie und Philosophie. Nicht vergessen sollte man den ebenfalls Universalgelehrten Carl Gustav Carus (1789-1869), der deutsche Arzt war auch Naturphilosoph und Maler.

Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts, bzw. Mitte des 19. Jahrhunderts

verfestigte sich die Trennung der Bereiche Kunst und Wissenschaft.

Seitdem ist sie ein umstrittenes Thema. Glücklicherweise hat sich das Blatt wieder gewandelt. Man nähert sich einander wieder an. Während Künstler immer häufiger wissenschaftliche Themen und Techniken reflektieren, gewinnt vor allem für Natur-, bzw. Geisteswissenschaftler das künstlerische Arbeiten an Bedeutung.

Aus heutiger Zeit ist für mich der spannendste Wissenschaftskünstler Olafur Eliasson; vielleicht, weil er sich mit denselben Themen befasst wie ich. Mit der Verleihung des Goslarer Kaiserringes*, einer der weltweit wichtigsten Preise würdigte man ihn als Künstler in der Nachfolge da Vincis.

 

Foto: Ólafur Elíasson bei der Berlinale 2017 – ©Maximilian Bühn, CC-BY-SA 4.0, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Kunst und Wissenschaft haben sich, trotz Trennung, seit jeher zumindest beeinflusst. Historisch betrachtet kann man feststellen, dass immer einhergehend mit epochalen Erkenntnissen der Wissenschaft, auch die Kunst bedeutende Veränderungen erlebte. Meiner Meinung nach sind die Grenzen beider Bereiche häufig fließend.

Nicht selten kann Kunst als Wissenschaft oder

Wissenschaft als Kunst angesehen werden.

Sind demnach Künstler [auch] Wissenschaftler und Wissenschaftler [auch] Künstler? Ich möchte das bejahen, allerdings nicht pauschalisierend. Zumindest trifft es aber auf Künstler zu, die in ihren Werken nicht nur ein ästhetisches Produkt sehen, sondern einen intellektuellen Hintergrund verfolgen. Kunst ist immer auch Intelligenz, und Intelligenz sucht Wissen.

Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl,

das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich

nicht mehr wundern kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.”

Einstein

Einsteins Zitat ist für mich das zutreffendste zum Thema Kunst und Wissenschaft. Ich wundere mich gerne und empfinde genau das als gewichtigen Anteil meiner Lebensfreude. Sich wundern heißt für mich, einen neugierigen, interessierten Blick auf eine Welt zu haben. Und die gilt es zu entdecken. Schließlich bin ich ein Teil von ihr, wenn auch nur ein winzig kleiner … 

 

Als Kind schaute ich nachts stundenlang in den Himmel. Von der mich umgebenden Stille, während alle anderen schliefen, und dem Blick ins dunkle Universum konnte ich einfach nicht genug bekommen. Dabei wunderte ich mich und suchte Antworten u.a. auf die Frage, was genau Unendlichkeit sein könnte.

Heute denke ich darüber immer noch nach; ein unerschöpfliches Thema. Aber ich wundere mich auch gerne und oft beim Anblick der Natur, auf meinen vielen Reisen, der Beschäftigung mit Wissenschaft oder auch bei ganz alltäglichen Dingen.

Für mich ist der Moment des Wunderns

immer ein mentaler Startschuss.

Das äußert sich darin, möglichst viel wissen zu wollen und alles und jeden zu hinterfragen. Mitunter kann das natürlich auch anstrengend sein. Meine Neugierde ist jedoch nicht zu bremsen.

Ich möchte verstehen und genieße die Suche nach Antworten wie eine spannende Reise in die Welt des Wissens. Dank Internet kann man da ja schnell fündig werden. Dank meines beruflichen Hintergrundes kenne ich mich im WissenschaftsNetz aus, weiß wo ich suchen und finden kann.

Es ist wie ein unstillbarer Durst, der

mich umtreibt und glücklich macht.

Das erlangte Wissen ist auch eine gute Grundlage für den Blick in die Zukunft. Wie mag die Welt von morgen aussehen; in 30, 50, 100 Jahren? Visionäres Denken ist manchmal beängstigend aber in erster Linie spannend.

Meine Arbeit als Künstlerin gibt mir ausreichend Raum, den vielen Fragen und Themen die mich beschäftigen Ausdruck zu geben. Das spiegelt sich vor allem in meinen optischen Täuschungen wider.

In der Kunst ist im Gegenteil zur Realität [fast] alles möglich, so dass sie bisweilen sogar Grundlage, bzw. Anstoß wissenschaftlicher Projekte sein kann. Aus meinem leidenschaftlichen Interesse für Wissenschaft speist sich inzwischen mein nicht minder leidenschaftlicheres künstlerisches Schaffen und veränderte es.

Als Künstlerin und WissensSüchtige bin ich ständig auf der Suche nach Interaktionen, um über eine ‘wissenschaftsfaszinierte’ Kunst hinaus gehen zu können. So bin ich mit dem Ziel künstlerische Forschung zu betreiben, inzwischen Mitglied der SAR; Society for Artistic Research.

Wissenschaft und Forschung haben sich vielerlei Fragen, Problemen

und Herausforderungen zu stellen und tragen damit eine große Verantwortung.

Sie haben ganz erheblichen Anteil am Weltgeschehen und der Gestaltung unserer Zukunft. Daher sollte sie – genauso wie Politik – begeistert betrieben aber auch kritisch beobachtet werden. Letzteres ist vielleicht auch eine Aufgabe, die sich in der Kunst wiederfindet?

 

* Herbert W. Franke, Dr.: *1927 in Wien, studierte Physik, Mathematik, Chemie, Psychologie und Philosophie, promovierte in Philosophie. Lehrauftrag f. kybernetische Ästhetik u.  Computerkunst an der Univ. München (1973–1998), später für Computergrafik an der Akademie der Bildenden Künste München (1984–1998).
*Ernst Pöppel, Prof. *1940 in Schwessin, Pommern, ist ein deutscher Psychologe.

 

Literatur- und Linkliste

 

  • *Karin Herrmann [Hrsg.]: Neuroästhetik : Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungegebiet ; Beiträge des Impuls-Workshops am 15. u. 16. Januar 2010 in Aachen. – Kassel, 2010. – (Studien des Aachener Kompetenzzentrums für Wissenschaftsgeschichte ; Bd. 10). – ISBN 978-3-89958-996-2
  • Goslaer Kaiserring: Olafur Eliasson geehrt als Künstler auf den Spuren da Vincis. – Zeit online, 11.01.2013