Arbeiten mit Formen, Farben und Strukturen
6. Januar 2022
Brigitte Grawe

So lange ich denken kann, behagen mir Regeln und Grenzen so gar nicht. Sowohl handlungsfreiheitliche oder geografisch auferlegte Grenzen erschienen mir seit meiner Kindheit willkürlich, unnatürlich, mich beengend und einschränkend. Ich lehnte mich wie andere junge Menschen dagegen auf und hinterfragte.

Die bis heute mir am meisten widerstrebenden Aussagen sind:

  • Das tut man nicht.
  • Das sagt man nicht.
  • Das macht man nicht.
  • Das geht nicht.
  • Das darfst Du nicht.

Natürlich gibt es Regeln und Grenzen,

die unabdingbar sind für unser soziales Leben.

Die oberste ist der Respekt anderen Lebewesen gegenüber. Darunter verstehe ich alles angefangen von Wertschätzung über Liebe bis hin zur Einhaltung der Menschen- und Grundrechte. Daran gibt es nichts zu hinterfragen oder zu rütteln.

Mir widerstreben Regeln und Grenzen,

die Stillstand bewirken.

Sich allem zu fügen, was vorgegeben wird, ist und war noch nie mein Ding. Darum hinterfrage ich gerne und ja; beinahe alles. Höre oder lese ich etwas, dass mir nicht nachvollziehbar oder logisch erscheint, beginne ich nachzuforschen.

Dabei spielt es keine Rolle, von wem solche von mir angezweifelten Fakten kommen. Ich recherchiere und informiere mich solange, bis ich genügend Wissen angesammelt habe. Entweder sehe ich dann etwas als bestätigt oder eben als widerlegt an. Erst dann bin ich zufrieden.

Das hört sich anstrengend an,

ist es aber nicht.

Es gehört zu mir und meinem Denken wie Essen und Trinken. Obwohl ich in bestimmten Situationen auch über mich selber schmunzeln muss. Da sitze ich beispielsweise aufmerksam im Vortrag eines Professors und beginne an irgendeinem Punkt erwartungsgemäß zu zweifeln.

In meinem Kopf entsteht dann ganz automatisch eine Liste der zu überprüfenden Aussagen. Sobald ich wieder Zuhause bin, geht es dann auch direkt los mit dem Hinterfragen. Aber letzten Endes entsteht nur aus einem solchen Denken etwas Neues.

So entsteht auch Fortschritt in Wissenschaft und Lehre. Innovation und Exnovation sind wichtige Schritte auf dem Wege der Menschheit.

Abgesehen von meinem ständigen Hinterfragen bin

ich sowieso eine generell Wissenssüchtige.

Vorrangig interessiert mich der Bereich der Neurowissenschaften aber auch Architektur & Philosophie sind meine Steckenpferde. Je mehr ich darüber im Lauf der Jahre las, desto größer wurde die Leidenschaft für diese Fachgebiete. Es entstand der Wunsch, mit meinem Wissen etwas anzufangen.

Gepaart mit meinem Drang, Dinge weiterzuentwickeln, zeigte sich das schnell in meiner Kunst. Die Lust, mich experimentell mit Formen, Farben & Strukturen zu befassen, führe ich ohne Zweifel und in erster Linie auf die Rebellin in mir zurück.

Befasst man sich intensiver mit meinen Bildern, erkennt man zweifelsfrei worum es dabei geht: Bestehendes aufzubrechen. Formen, Strukturen, Muster und Regeln kann ich gerade in der Op-Art wunderbar hinterfragen. Natürlich mit dem Ziel, etwas neu aufzustellen.

Op-Art spiegelt die Grenzen

menschlicher Wahrnehmung wider.

Sie stellt unser komplexes Gehirn vor echte Herausforderungen. Gängige Sehmuster werden aufgebrochen und sozusagen ungültig. Das ist natürlich ganz nach meinem Geschmack!

Je nach Anordnung von Farben und Formen, Linien und Strukturen kann ich nicht nur die visuelle Wahrnehmung herausfordern. Gleichzeitig kann ich damit auf wissenschaftliche Entdeckungsreise gehen. Sie führt mich durch unsere Neuronengewitter und lässt mich machen, was ich am liebsten tue; hinterfragen.

Doch es sind nicht nur die optischen

Täuschungen, die mich reizen.

Es ist generell das experimentelle und spielerische Arbeiten mit Formen und Farben, Strukturen und Linien. Am Computer ist Dank entsprechender Programme (fast) alles möglich.

Das interaktive Erstellen  geometrischer Konstruktionen kommt meinem inneren Aufbegehren bestehender Strukturen entgegen. Es ist der treibende Gedanke, wenn auch nicht immer bewusst. Doch das Unterbewusstsein bahnt sich seinen Weg.

Einfache abstrakte Bilder entstehen auf

leichte, entspannende Weise.

Sie stellen mit weichen Konturen einen erholsamen Gegensatz zur Op-Art dar. Dabei spüre ich eine ganz andere, mich antreibende, Gemütslage. Manchmal dürstet es mich nach anstrengenden Arbeiten oder Lebensphasen einfach nach Weichheit und bestimmten Farben.

Ich brauche wohl von Zeit zu Zeit den Kontrast zur herausfordernden, experimentellen Arbeit mit Strukturen, Formen und Farben. Es macht auch den Kopf frei. Denn das abstrakte Arbeiten ist eher ein aus sich selbst herausentstehendes Schaffen.

Op-Art hingegen erfordert ein

hohes Maß an Konzentration.

Es gilt nicht nur zu erkennen, an welcher Stelle der Bearbeitung sich mein ‚Bildmaterial‘ eignet, eine optische Illusion zu erzeugen. Scheinperspektiven, Mehrdeutigkeiten und unmögliche Objekte kann ich nur entstehen lassen, wenn ich mich, bzw. meine eigene Wahrnehmung dabei von Zeit zu Zeit selber austrickse.

Etwas entstehen zu lassen, dass dem Gehirn etwas vorgaukelt, dass physikalischen Gesetzen entgegensteht ist nicht einfach. Meine eigene visuelle Wahrnehmung funktioniert ja nicht anders als die der Betrachter meiner Bilder. Sie unterscheidet sich lediglich in der Übung im Umgang damit.

Ich liebe die Herausforderung daran!

Nichts ist als einheitlicher Organismus in sich so komplex wie unser menschliches Gehirn. Kunst zu erschaffen, die dieses Konstrukt vor ein Dilemma stellen ist eine Motivation, die mich umtreibt. Aber sie bestätigt mich auch in meinem rebellischen Denken; geht nicht – gibt’s nicht.

In diesem Sinne ist auch das Titelbild zu diesem Beitrag zu verstehen. Ein Auge durchbricht feste Strukturen …

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